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NS-TERROR - Die Fortsetzung der Weißen Rose
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Nach der Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl 1943 beschlossen der Student Hans Leipelt und seine Freundin Marie-Luise Jahn deren Widerstand gegen die NS-Diktatur fortzusetzen. Sie fanden Unterstützung in einem losen Netzwerk regimekritischer Freundes- und Familienkreise in Leipelts Heimatstadt Hamburg. Nur ein Teil von ihnen überlebte den NS-Terror. Von Renate Eichmeier (BR 2022)
Credits
Autorin: Renate Eichmeier
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Johannes Hitzelberger
Technik: Susanne Herzig
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Angela Bottin
Linktipps:
BR (2018): Widerstand als Familienerbe
Sie gelten als Ikonen des Widerstands, die Mitglieder der „Weißen Rose“, die gegen das nationalsozialistische Regime kämpften. Am 22. Februar 1943, wurden die Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst zum Tode verurteilt und hingerichtet. Für ihren Mitstreiter Willi Graf prüft das Erzbistum München und Freising derzeit ein Seligsprechungsverfahren. Auch heute ist Widerstand geboten, bei Verletzung der Menschenwürde, menschenverachtender Politik und Ungerechtigkeit. Doch wie ist Widerstand überhaupt möglich? Wann beginnt Widerstand? Und welche Rolle spielt die Religion dabei? JETZT ANSEHEN
Tatort Geschichte (2021): Die letzten Tage der Weißen Rose
Ihren mutigen Widerstand gegen das NS-Terrorregime bezahlten Sophie Scholl, Hans Scholl und Christoph Probst von der Weißen Rose mit dem Leben. Von ihrem Auffliegen bis zur Vollstreckung des Todesurteils vergingen nur vier Tage. Wir zeichnen diese nach und beleuchten die Personen, die an ihrer Verurteilung maßgeblich beteiligt waren. JETZT ANHÖREN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK
SPRECHER:
Kommilitoninnen! Kommilitonen!
SPRECHERIN:
Nach der verheerenden Niederlage der deutschen Wehrmacht in Stalingrad richtete sich die Widerstandsgruppe Weiße Rose im Februar 1943 mit einem Flugblatt an die Münchner Studentenschaft.
SPRECHER:
Erschüttert steht das deutsche Volk vor dem Untergang der Männer in Stalingrad. Dreihundertdreißigtausend deutsche Männer sind sinn- und verantwortungslos in Tod und Verderben geführt worden, ist auf dem Flugblatt zu lesen und: Es gibt jetzt nur eine Parole: Kampf gegen die Partei! Heraus aus den Parteiorganisationen, aus den Hörsälen der SS-Führer und Parteikriecher!
SPRECHERIN:
Das sechste Flugblatt war das letzte, das die Mitglieder der Münchner Weißen Rose verbreiteten. Hans und Sophie Scholl wurden bei der Verteilung an der Universität im Februar 1943 festgenommen und einige Tage später hingerichtet. Das Flugblatt war in die Hände von Hans Leipelt gelangt, der in München Chemie studierte. In den Osterferien fuhr er in seine Heimatstadt Hamburg, wo seine Familie und Freunde bei der Weiterverbreitung des Flugblattes halfen. Diese waren Teil eines losen Netzwerkes regimekritischer Menschen, das bereits seit 1942 Kontakte zur Weißen Rose nach München hatte.
MUSIK
Viele bezahlten einen hohen Preis für ihre oppositionelle Haltung: Inhaftierungen, Misshandlungen, Todesurteile. Hans Leipelt wurde Ende Januar 1945 hingerichtet. Wer waren die Menschen der Hamburger Weißen Rose?
O1 BOTTIN 25''
Hans Leipelt ist ja 1921 in Wien geboren, und seine Mutter war promovierte Chemikerin, die 1918 vom jüdischen zum evangelischen Glauben konvertiert war, aber in einem ganzen Verbund von Menschen und Freunden lebte, wo sich eigentlich alles zusammen fand in – ja, toleranter Weltoffenheit.
SPRECHERIN:
Die Juristin Angela Bottin hat sich intensiv mit der Familiengeschichte von Hans Leipelt und anderer NS-Verfolgter in Hamburg beschäftigt.
O2 BOTTIN 10''
Katharina Baron, wie Sie ursprünglich hieß, traf als berufstätige Frau in Wien den Katholischen Diplom-Ingenieur Conrad Leipelt.
MUSIK
SPRECHERIN:
Die beiden heirateten, zogen nach der Geburt von Hans nach Hamburg, wo Conrad Leipelt zum Direktor der Zinnwerke Wilhelmsburg aufstieg. Dort kam 1925 Maria zur Welt, die Schwester von Hans. Die Leipelts führten einen großbürgerlichen Lebensstil mit offenem Haus und großem Bekanntenkreis, pflegten enge Kontakte zur jüdischen Verwandtschaft in Österreich und förderten ihre Kinder, die beide sehr begabt waren. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nahm der antisemitische Druck auf die Familie zu. Obwohl die Mutter zum Protestantismus konvertiert war, galt sie in der rassistischen Weltsicht der Nationalsozialisten als Jüdin. Da der Vater keinen jüdischen Hintergrund hatte, verlief das Leben von Hans und seiner Schwester vorerst ohne Einschränkungen.
O3 BOTTIN 41''
Hans Leipelt hat mit 16 Jahren Abitur gemacht in Hamburg. Und Reichsarbeitsdienst und Wehrdienst war natürlich für ihn wie für alle verpflichtend, wenn er studieren wollte – und das wollte er natürlich. Und er hat sich dann, um nicht zwei Jahre warten zu müssen, freiwillig in Anführungszeichen gemeldet. Zuerst zum Reichsarbeitsdienst und dann zur militärischen Ausbildung, damit er keine Zeit verlor. Sein Einsatz im Reichsarbeitsdienst beim sogenannten Bau des Westwalles, der für Nazi-Deutschland ja ausgesprochen wichtig war, war eine überaus strapaziöse und im Grunde entsetzliche Zeit.
MUSIK
SPRECHERIN:
Kurz bevor Hans Leipelt seinen Arbeitsdienst an der Westgrenze begann, marschierten die deutschen Truppen in Österreich ein. Mit katastrophalen Folgen für seine jüdische Verwandtschaft in Wien. Sein Onkel, der Bruder seiner Mutter Katharina, beging Selbstmord. Seine Großeltern flüchteten in die Tschechoslowakei, wo sein Großvater starb. Daraufhin kam seine Oma Hermine nach Hamburg. Im November 1938 begann Hans seine Ausbildung bei der Wehrmacht, war ab Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 zuerst in Polen, dann in Frankreich im Einsatz. Trotz Auszeichnungen wie dem Eiserne Kreuz II. Klasse wurde er im August 1940 als sogenannter "jüdischer Mischling" aus der Wehrmacht entlassen und begann in Hamburg mit dem Chemie-Studium. In Frankreich hatte er Karl Ludwig Schneider kennengelernt, ebenfalls Hamburger, ebenfalls anti-nazistisch eingestellt. Zwischen den beiden entwickelte sich eine enge Freundschaft. Schneider war als Schüler auf der reformpädagogischen Lichtwark-Schule gewesen. Aus privaten Lese- und Diskussionszirkeln der Lehrerin Erna Stahl entwickelte sich der Kern des regimekritischen Netzwerkes, das von der Forschung später als Weiße Rose Hamburg bezeichnet wurde. Neben Karl Ludwig Schneider spielten Traute Lafrenz, Heinz Kucharski und Margaretha Rothe eine wichtige Rolle. Sukzessive wuchs das Netzwerk, kamen gleichgesinnte Männer und Frauen hinzu und mit ihnen ihre Freunde und Angehörigen: Etwa der Medizinstudent Albert Suhr mit befreundeten Ärzten und Ärztinnen aus dem Universitäts-Krankenhaus Eppendorf, der Buchhändler und Philosophiestudent Reinhold Meyer - und eben auch Hans Leipelt und seine Familie. Hans Leipelt und die Medizinstudentin Traute Lafrenz fungierten später als Verbindungsglieder zwischen dem Münchner und dem Hamburger Widerstands-Netzwerk. Vorerst aber traf man sich zu Diskussionsrunden, feierte bei verbotener Jazzmusik, hörte gemeinsam ausländische Sender, las regimekritische Literatur – und amüsierte sich mit eigenen satirischen Texten gegen die NS Machthaber.
MUSIK
SPRECHER:
Hans Leipelt habe, so der Oberreichsanwalt in seiner Anklageschrift vom Juli 1944, mit seiner Schwester Maria und Karl Ludwig Schneider Texte verfasst und bei privaten Zusammenkünften aufgeführt, die eine ausgesprochen staatsfeindliche Tendenz hatten. Außerdem habe Leipelt in Gesprächen immer die Ansicht vertreten, dass Deutschland den Krieg begonnen habe und deshalb die zerstörten Städte in der Sowjetunion wiederaufbauen müsse. Hans Leipelt habe ausländische Hetznachrichten gehört und darauf vertraut, dass die Feindmächte die Verhältnisse in Deutschland in seinem Sinne ändern. Außerdem sei er mit seinen Freunden darin übereingekommen, dass sie dabei mithelfen müssten, den Nationalsozialismus zu vernichten.
SPRECHERIN:
Die Anklageschrift von 1944 ist eines der wenigen Dokumente, die Aufschluss über die Aktivitäten von Hans Leipelt und seinem Freundeskreis geben. Zu den Ermittlungen gegen andere Mitglieder der Weißen Rose in Hamburg ist wenig überliefert – so Angela Bottin:
O4 BOTTIN 16''
Es gibt kaum Verfolgungs-Dokumente, also Vernehmungsprotokolle und Unterlagen aus dieser Zeit. Wir wissen, dass in Hamburg die Gestapo vor dem Einmarsch der Briten im Mai 1945 systematisch vieles noch vernichtet hat.
SPRECHERIN:
Selbstauskünfte oder eigene Schriften gibt es nur von einigen des Hamburger Netzwerkes – etwa von Leipelts engem Freund Karl Ludwig Schneider oder auch von dem Buchhändler Reinhold Meyer. Von Hans Leipelt selbst ist kaum etwas greifbar. Er war nicht nur als regimekritischer Student in den Fokus der Nationalsozialisten geraten. Wegen der jüdischen Wurzeln seiner Mutter wurde seine Familie genauso brutal verfolgt wie alle anderen jüdischen Familien.
O5 BOTTIN 17''
Alles, was diese Familie besaß in ihrem Haus wurde – ja, vom Staat übernommen, verwertet, versteigert, öffentlich versteigert und wie bei allen anderen, wurden persönliche Dokumente vernichtet. Und das ist das große Problem auf den Spuren von Hans Leipelt.
MUSIK
SPRECHER:
Ein neues Gesicht im Chemischen Labor habe sie im Winter 1941 neugierig gemacht, schrieb Marie-Luise Jahn später über ihre Studienzeit in München. Es war Hans Leipelt, der sie faszinierte mit seiner Art über Bücher zu sprechen – über Bücher, die seit 1933 verboten waren.
SPRECHERIN:
Zwischen den beiden entwickelte sich eine Liebesgeschichte.
SPRECHER:
Gemeinsame Spaziergänge im Englischen Garten folgten, so die Erzählung von Marie-Luise Jahn, zahlreiche Umzüge, weil sie gegen das Verbot von sogenannten "Herrenbesuchen" abends verstießen, gemeinsames Hören von verbotener Jazzmusik, laut aus dem Koffergrammophon auf dem Fensterbrett …
SPRECHERIN:
Nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht hatte Hans Leipelt zum Wintersemester 1940/41 zunächst in Hamburg mit dem Chemiestudium angefangen – unter schwierigen Bedingungen, so Angela Bottin.
O6 BOTTIN 36''
Man muss vielleicht noch ergänzen zum Verständnis, dass Hans Leipelt nicht einfach mit seinem Studium beginnen konnte. Er brauchte eine – wie alle Mischlinge ersten Grades – eine Ausnahme-Genehmigung durch das Reichs-Erziehungsministerium. Das war ein erniedrigender Prozess, dem er sich unterwerfen musste, und er erlebte dann in Hamburg kurze Zeit später doch sehr viel antisemitische diskriminierende Ereignisse. Und das war der Grund, warum er den Studienort wechselte, obwohl das bedeutete, weit weg von der sehr bedrohten Familie zu sein.
SPRECHERIN:
So war Hans Leipelt nach München gekommen. Am chemischen Institut an der Münchner Universität herrschte eine offene Atmosphäre. Professor Heinrich Wieland hatte 1927 den Nobelpreis bekommen, nutzte seine Prominenz und akzeptierte auch sogenannte "nichtarische" Studenten und Studentinnen. Auch Marie-Luise Jahn studierte in München. Die Juristin Angela Bottin:
O7 BOTTIN 36''
Sie hat dann in dem Staatslaboratorium, dem chemischen Institut unter der Leitung von Professor Heinrich Wieland, erst mal näher kennengelernt, dass es Menschen gab, die besonderen Schutz brauchten, eben die dort von Heinrich Wieland nicht ausgeschlossenen, sogenannten Mischlinge ersten Grades. Marie-Luise Jahn kam aus einer anderen Welt. Sie war Tochter einer Gutsbesitzerfamilie in Ostpreußen, hatte Privatunterricht gehabt, war sehr behütet, hatte dann in Berlin Abitur gemacht und war dann nach München gekommen und hatte begonnen, Chemie zu studieren.
SPRECHER:
Das Vordiplom im Sommer 1942 sei nicht gut ausgefallen, schrieb Marie-Luise Jahn in ihren Erinnerungen, da sie sich lieber mit Hans getroffen hat, anstatt zu lernen. Die beiden haben ihre Freundschaft ganz offen gezeigt, sind Arm in Arm durchs Chemische Labor gelaufen. Ein regimetreuer Kommilitone habe sie beim NS Studentenführer denunziert. Allerdings sei außer einer Standpauke nichts weiter passiert – was, wie sie später erfuhr, damit zu tun hatte, dass Professor Wieland zu ihren Gunsten eingegriffen hatte.
MUSIK
SPRECHERIN:
Den Sommer 1942 verbrachte Marie-Luise Jahn zuhause bei ihrer Familie in Ostpreußen – und Hans Leipelt bei seiner Familie in Hamburg. Die Situation hatte sich dramatisch verschlechtert. Maria, die Schwester von Hans, musste wegen ihres jüdischen Hintergrundes das Gymnasium verlassen. Die Großmutter wurde ins KZ Theresienstadt deportiert. Und im September 1942 starb der Vater überraschend. Für die Mutter fiel damit der Schutz weg, den sie durch ihren nicht-jüdischen Mann hatte. Hans kümmerte sich um die Beerdigung seines Vaters.
O8 BOTTIN 25''
Das bedeutete aber, dass er sehr, sehr viel mehr Zeit in Hamburg verbracht hat als als Student in München. Und dadurch ist es auch Marie Luise gar nicht sozusagen präsent gewesen, was alles auch in Hamburg passierte.
SPRECHERIN:
Neben Hans Leipelt pendelte ein weiteres Mitglied des Hamburger Netzwerkes zwischen München und Hamburg: Traute Lafrenz, ehemalige Schülerin der Lichtwark-Schule, befreundet mit Heinz Kucharski und Margaretha Rothe, studierte mittlerweile in München Medizin. Sie war eng mit Hans Scholl befreundet, mit dem sie kurzzeitig auch liiert war, und kannte auch andere Mitglieder des Münchner Widerstandsnetzwerkes, Sophie Scholl, Professor Kurt Huber und Alexander Schmorrell, den sie bereits drei Jahre vorher während ihres Reichsarbeitsdienstes in Ostpommern kennengelernt hatte. Unter dem Eindruck der brutalen Kriegsverbrechen im Osten hatten die Münchner im Sommer vier Flugblätter verfasst und verbreitet. Sie nannten sich Weiße Rose und riefen zum Widerstand gegen das NS Regime auf. Als Traute Lafrenz im November 1942 auf Heimatbesuch nach Hamburg kam, brachte sie eines dieser Flugblätter mit und gab es ihrem alten Freundeskreis. Heinz Kucharski, Margaretha Rothe, Reinhold Meyer, Albert Suhr hatten das Flugblatt in Händen, diskutierten und verteilten es. Ob auch Hans Leipelt das Flugblatt kannte, lässt sich nicht nachweisen, ist aber wegen seiner engen Beziehungen ins Hamburger Netzwerk anzunehmen. In den Erinnerungen von Marie-Luise Jahn findet sich nichts darüber. Dazu Angela Bottin.
O9 BOTTIN 45''
Sie hat als einzige eigentlich – Hans Leipelt konnte es nach seiner Ermordung ja natürlich nicht mehr: sie hat, sagen wir mal, eine Wir-Geschichte, Hans Leipelt und Marie-Luise Jahn, ab Mitte der 1980er Jahre entwickelt. Je mehr man über die komplexen Zusammenhänge, die es tatsächlich gegeben hat, herausfindet – dann erkennt man das diese Wir-Geschichte eben doch vieles außer Acht lässt, was zur Wirkungsgeschichte und zum Leben und Sterben von Hans Leipelt im Besonderen und der weiteren, mit ihm verbündeten aktiven Menschen in München und Hamburg tatsächlich geschah.
MUSIK
SPRECHERIN:
Über Flugblätter zum Widerstand aufzurufen war lebensgefährlich. Alle zusätzlichen Mitwissenden erhöhten das Risiko, entdeckt zu werden. Ihren Erinnerungen zufolge wurde Marie-Luise Jahn erst ab 1943 von Hans Leipelt in seine Oppositionsaktivitäten eingebunden. Hans Leipelt, der zwischen Hamburg und München pendelte, war laut Marie-Luise Jahn am 13. Januar 1943 in München, als es im Kongresssaal des Deutschen Museums zu spontanen Studentenprotesten kam. Gauleiter Paul Giesler hatte in seiner Rede im Rahmen der 470 Jahrfeier der Münchner Universität beleidigende Äußerungen über studierende Frauen gemacht. Unter Protest verließen viele der Anwesenden, darunter viele Soldaten in Uniform, den Saal und lieferten sich Handgreiflichkeiten mit den Ordnungskräften.
SPRECHER:
Das sei ein Hoffnungsschimmer gewesen, dass endlich etwas passieren würde – so Marie-Luise Jahn in ihren Erinnerungen. Hans sei bei der Veranstaltung gewesen und habe ihr freudestrahlend von dem Protest der Studenten gegen die unverschämte Rede des Gauleiters erzählt. Sie dachten, so Marie-Luise Jahn, dass ein Aufstand der Studenten folgen würde.
SPRECHERIN:
Aber nichts dergleichen geschah. Auch nicht als Ende Januar 1943 die Schlacht um Stalingrad mit einer verheerenden Niederlage der deutschen Wehrmacht endete und das sechste Flugblatt der Weißen Rose in München zum Widerstand gegen die NS-Diktatur aufrief.
Den Text hatte größtenteils Professor Huber verfasst. Die meisten der Flugblätter wurden per Post verschickt. Als Hans und Sophie Scholl den Rest an der Münchner Universität verteilten, wurden sie verhaftet.
SPRECHER:
Eines Morgens sei Hans Leipelt mit dem Flugblatt in der Hand zu ihrem Laborplatz im Chemischen Institut gekommen, schrieb Marie-Luise Jahn in ihren Erinnerungen. Gemeinsam haben sie es gelesen und waren beeindruckt, dass jemand gewagt hatte, das zu schreiben. Sie waren der gleichen Meinung, hätten aber nie gewagt, das offen zu sagen, geschweige denn zu schreiben. Hier hatte jemand den Mut, sich öffentlich gegen das Unrechts- und Willkürregime der Nationalsozialisten aufzulehnen.
MUSIK
Hinter vorgehaltener Hand, so Marie Luise Jahn machten Gerüchte über Verhaftungen im Chemischen Institut die Runde.
SPRECHERIN:
Am 22. Februar 1943 wurden Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst in München hingerichtet.
SPRECHER:
Ihre Hoffnungen hätten ein jähes Ende gefunden, so Marie Luise Jahn über die verzweifelte Stimmung, in der sie und Hans Leipelt waren. Sie hatten das Flugblatt, aber die es geschrieben hatten, waren von den Nazis dafür hingerichtet worden. Wer sollte nun den Menschen die Augen öffnen? Wer die Wahrheit über das verbrecherische Regime sagen? Und ihnen beiden war klar, dass sie weitermachen müssten. Sie tippten das Flugblatt mit vielen Durchschlägen ab. Um die Verbundenheit mit den Ermordeten zu zeigen, wählten sie als Überschrift: "… und ihr Geist lebt trotzdem weiter."
SPRECHERIN:
Das sechste Flugblatt und weitere regimekritische Schriften im Gepäck fuhr Marie-Luise Jahn in den Osterferien mit Hans Leipelt nach Hamburg, lernte dort seine Mutter, seine Schwester Maria und auch seine Freunde Karl Heinz Schneider und Heinz Kucharski kennen, bevor sie zu ihrer Familie nach Ostpreußen weiterreiste. Leipelts Hamburger Freundeskreis sorgte für eine Vervielfältigung und Weiterverbreitung des Münchner Flugblattes.
SPRECHER:
Nach den Osterferien, so Marie-Luise Jahn, sei sie mit dem beklemmenden Gefühl nach München zurückgefahren, ihr bisher behütetes Leben verloren zu haben.
MUSIK
SPRECHERIN:
Die Situation für die antinazistischen Netzwerke in München und Hamburg verschärfte sich. Bereits im März 1943 war Traute Lafrenz im Rahmen der Ermittlungen gegen die Weiße Rose in München verhaftet worden. Im Juli wurden Alexander Schmorell und Professor Kurt Huber hingerichtet. Um die mittellose Familie des letzteren zu unterstützen, beteiligten sich Hans Leipelt und Marie-Luise Jahn an Geldsammlungen, wurden schließlich denunziert und im Oktober 1943 verhaftet – und mit ihnen sieben weitere Personen aus ihrem Münchner Freundeskreis, die meisten davon Studierende am Chemischen Institut. Auch in Hamburg folgte Verhaftung auf Verhaftung: Albert Suhr, Maria Leipelt, die Schwester von Hans, Heinz Kucharski, Margaretha Rothe, Karl Ludwig Schneider, Reinhold Meyer und auch die Mutter von Hans, Katharina Leipelt. Ende 1943 waren die zentralen Akteure des Hamburger Netzwerkes in Haft.
MUSIK
SPRECHER:
Er beschuldige Hans Leipelt, so der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof in seiner Anklageschrift: der Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Wehrkraftzersetzung, Feindbegünstigung und Rundfunkverbrechen.
SPRECHERIN:
Am 13. Oktober 1944, etwa nach einem Jahr Untersuchungshaft in München-Stadelheim, fand der Prozess gegen Hans Leipelt und seinen Münchner Freundeskreis statt. Wegen der Luftangriffe auf München wurde er nach Donauwörth verlegt.
SPRECHER:
Laut Anklageschrift wurde Hans Leipelt vorgeworfen, dass er in Gesprächen staatsfeindliche, zum Teil auch kommunistische Positionen propagiert habe, dass er ausländische Sender gehört und ein Flugblatt der Weißen Rose weiterverbreitet habe, in dem zur Sabotage der Rüstung und zum Sturz der nationalsozialistischen Staatsführung aufgerufen wurde. In Gesprächen habe er die Geschwister Scholl als Märtyrer gefeiert und seine Bewunderung für sie zum Ausdruck gebracht. Außerdem habe er in seinem Hamburger Freundeskreis über die Möglichkeiten von Terror- und Sabotageakten beratschlagt, etwa eines Sprengstoffanschlages auf eine wichtige Eisenbahnbrücke. Und schließlich habe er für die Hinterbliebenen des zum Tode verurteilten Professor Kurt Huber Geld gesammelt und auch selbst gespendet.
MUSIK
SPRECHERIN:
Hans Leipelt wurde zum Tode, Marie-Luise Jahn zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 29. Januar 1945 wurde Hans Leipelt in München-Stadelheim hingerichtet. Aus dem Umfeld des Hamburger Netzwerkes kamen acht Menschen ums Leben – darunter Katharina Leipelt, die Mutter von Hans, Margaretha Rothe und Reinhold Meyer. Von Familie Leipelt überlebte als einzige Maria, die Schwester von Hans.
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Nach der Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl 1943 beschlossen der Student Hans Leipelt und seine Freundin Marie-Luise Jahn deren Widerstand gegen die NS-Diktatur fortzusetzen. Sie fanden Unterstützung in einem losen Netzwerk regimekritischer Freundes- und Familienkreise in Leipelts Heimatstadt Hamburg. Nur ein Teil von ihnen überlebte den NS-Terror. Von Renate Eichmeier (BR 2022)
Credits
Autorin: Renate Eichmeier
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Johannes Hitzelberger
Technik: Susanne Herzig
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Angela Bottin
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BR (2018): Widerstand als Familienerbe
Sie gelten als Ikonen des Widerstands, die Mitglieder der „Weißen Rose“, die gegen das nationalsozialistische Regime kämpften. Am 22. Februar 1943, wurden die Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst zum Tode verurteilt und hingerichtet. Für ihren Mitstreiter Willi Graf prüft das Erzbistum München und Freising derzeit ein Seligsprechungsverfahren. Auch heute ist Widerstand geboten, bei Verletzung der Menschenwürde, menschenverachtender Politik und Ungerechtigkeit. Doch wie ist Widerstand überhaupt möglich? Wann beginnt Widerstand? Und welche Rolle spielt die Religion dabei? JETZT ANSEHEN
Tatort Geschichte (2021): Die letzten Tage der Weißen Rose
Ihren mutigen Widerstand gegen das NS-Terrorregime bezahlten Sophie Scholl, Hans Scholl und Christoph Probst von der Weißen Rose mit dem Leben. Von ihrem Auffliegen bis zur Vollstreckung des Todesurteils vergingen nur vier Tage. Wir zeichnen diese nach und beleuchten die Personen, die an ihrer Verurteilung maßgeblich beteiligt waren. JETZT ANHÖREN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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SPRECHER:
Kommilitoninnen! Kommilitonen!
SPRECHERIN:
Nach der verheerenden Niederlage der deutschen Wehrmacht in Stalingrad richtete sich die Widerstandsgruppe Weiße Rose im Februar 1943 mit einem Flugblatt an die Münchner Studentenschaft.
SPRECHER:
Erschüttert steht das deutsche Volk vor dem Untergang der Männer in Stalingrad. Dreihundertdreißigtausend deutsche Männer sind sinn- und verantwortungslos in Tod und Verderben geführt worden, ist auf dem Flugblatt zu lesen und: Es gibt jetzt nur eine Parole: Kampf gegen die Partei! Heraus aus den Parteiorganisationen, aus den Hörsälen der SS-Führer und Parteikriecher!
SPRECHERIN:
Das sechste Flugblatt war das letzte, das die Mitglieder der Münchner Weißen Rose verbreiteten. Hans und Sophie Scholl wurden bei der Verteilung an der Universität im Februar 1943 festgenommen und einige Tage später hingerichtet. Das Flugblatt war in die Hände von Hans Leipelt gelangt, der in München Chemie studierte. In den Osterferien fuhr er in seine Heimatstadt Hamburg, wo seine Familie und Freunde bei der Weiterverbreitung des Flugblattes halfen. Diese waren Teil eines losen Netzwerkes regimekritischer Menschen, das bereits seit 1942 Kontakte zur Weißen Rose nach München hatte.
MUSIK
Viele bezahlten einen hohen Preis für ihre oppositionelle Haltung: Inhaftierungen, Misshandlungen, Todesurteile. Hans Leipelt wurde Ende Januar 1945 hingerichtet. Wer waren die Menschen der Hamburger Weißen Rose?
O1 BOTTIN 25''
Hans Leipelt ist ja 1921 in Wien geboren, und seine Mutter war promovierte Chemikerin, die 1918 vom jüdischen zum evangelischen Glauben konvertiert war, aber in einem ganzen Verbund von Menschen und Freunden lebte, wo sich eigentlich alles zusammen fand in – ja, toleranter Weltoffenheit.
SPRECHERIN:
Die Juristin Angela Bottin hat sich intensiv mit der Familiengeschichte von Hans Leipelt und anderer NS-Verfolgter in Hamburg beschäftigt.
O2 BOTTIN 10''
Katharina Baron, wie Sie ursprünglich hieß, traf als berufstätige Frau in Wien den Katholischen Diplom-Ingenieur Conrad Leipelt.
MUSIK
SPRECHERIN:
Die beiden heirateten, zogen nach der Geburt von Hans nach Hamburg, wo Conrad Leipelt zum Direktor der Zinnwerke Wilhelmsburg aufstieg. Dort kam 1925 Maria zur Welt, die Schwester von Hans. Die Leipelts führten einen großbürgerlichen Lebensstil mit offenem Haus und großem Bekanntenkreis, pflegten enge Kontakte zur jüdischen Verwandtschaft in Österreich und förderten ihre Kinder, die beide sehr begabt waren. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nahm der antisemitische Druck auf die Familie zu. Obwohl die Mutter zum Protestantismus konvertiert war, galt sie in der rassistischen Weltsicht der Nationalsozialisten als Jüdin. Da der Vater keinen jüdischen Hintergrund hatte, verlief das Leben von Hans und seiner Schwester vorerst ohne Einschränkungen.
O3 BOTTIN 41''
Hans Leipelt hat mit 16 Jahren Abitur gemacht in Hamburg. Und Reichsarbeitsdienst und Wehrdienst war natürlich für ihn wie für alle verpflichtend, wenn er studieren wollte – und das wollte er natürlich. Und er hat sich dann, um nicht zwei Jahre warten zu müssen, freiwillig in Anführungszeichen gemeldet. Zuerst zum Reichsarbeitsdienst und dann zur militärischen Ausbildung, damit er keine Zeit verlor. Sein Einsatz im Reichsarbeitsdienst beim sogenannten Bau des Westwalles, der für Nazi-Deutschland ja ausgesprochen wichtig war, war eine überaus strapaziöse und im Grunde entsetzliche Zeit.
MUSIK
SPRECHERIN:
Kurz bevor Hans Leipelt seinen Arbeitsdienst an der Westgrenze begann, marschierten die deutschen Truppen in Österreich ein. Mit katastrophalen Folgen für seine jüdische Verwandtschaft in Wien. Sein Onkel, der Bruder seiner Mutter Katharina, beging Selbstmord. Seine Großeltern flüchteten in die Tschechoslowakei, wo sein Großvater starb. Daraufhin kam seine Oma Hermine nach Hamburg. Im November 1938 begann Hans seine Ausbildung bei der Wehrmacht, war ab Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 zuerst in Polen, dann in Frankreich im Einsatz. Trotz Auszeichnungen wie dem Eiserne Kreuz II. Klasse wurde er im August 1940 als sogenannter "jüdischer Mischling" aus der Wehrmacht entlassen und begann in Hamburg mit dem Chemie-Studium. In Frankreich hatte er Karl Ludwig Schneider kennengelernt, ebenfalls Hamburger, ebenfalls anti-nazistisch eingestellt. Zwischen den beiden entwickelte sich eine enge Freundschaft. Schneider war als Schüler auf der reformpädagogischen Lichtwark-Schule gewesen. Aus privaten Lese- und Diskussionszirkeln der Lehrerin Erna Stahl entwickelte sich der Kern des regimekritischen Netzwerkes, das von der Forschung später als Weiße Rose Hamburg bezeichnet wurde. Neben Karl Ludwig Schneider spielten Traute Lafrenz, Heinz Kucharski und Margaretha Rothe eine wichtige Rolle. Sukzessive wuchs das Netzwerk, kamen gleichgesinnte Männer und Frauen hinzu und mit ihnen ihre Freunde und Angehörigen: Etwa der Medizinstudent Albert Suhr mit befreundeten Ärzten und Ärztinnen aus dem Universitäts-Krankenhaus Eppendorf, der Buchhändler und Philosophiestudent Reinhold Meyer - und eben auch Hans Leipelt und seine Familie. Hans Leipelt und die Medizinstudentin Traute Lafrenz fungierten später als Verbindungsglieder zwischen dem Münchner und dem Hamburger Widerstands-Netzwerk. Vorerst aber traf man sich zu Diskussionsrunden, feierte bei verbotener Jazzmusik, hörte gemeinsam ausländische Sender, las regimekritische Literatur – und amüsierte sich mit eigenen satirischen Texten gegen die NS Machthaber.
MUSIK
SPRECHER:
Hans Leipelt habe, so der Oberreichsanwalt in seiner Anklageschrift vom Juli 1944, mit seiner Schwester Maria und Karl Ludwig Schneider Texte verfasst und bei privaten Zusammenkünften aufgeführt, die eine ausgesprochen staatsfeindliche Tendenz hatten. Außerdem habe Leipelt in Gesprächen immer die Ansicht vertreten, dass Deutschland den Krieg begonnen habe und deshalb die zerstörten Städte in der Sowjetunion wiederaufbauen müsse. Hans Leipelt habe ausländische Hetznachrichten gehört und darauf vertraut, dass die Feindmächte die Verhältnisse in Deutschland in seinem Sinne ändern. Außerdem sei er mit seinen Freunden darin übereingekommen, dass sie dabei mithelfen müssten, den Nationalsozialismus zu vernichten.
SPRECHERIN:
Die Anklageschrift von 1944 ist eines der wenigen Dokumente, die Aufschluss über die Aktivitäten von Hans Leipelt und seinem Freundeskreis geben. Zu den Ermittlungen gegen andere Mitglieder der Weißen Rose in Hamburg ist wenig überliefert – so Angela Bottin:
O4 BOTTIN 16''
Es gibt kaum Verfolgungs-Dokumente, also Vernehmungsprotokolle und Unterlagen aus dieser Zeit. Wir wissen, dass in Hamburg die Gestapo vor dem Einmarsch der Briten im Mai 1945 systematisch vieles noch vernichtet hat.
SPRECHERIN:
Selbstauskünfte oder eigene Schriften gibt es nur von einigen des Hamburger Netzwerkes – etwa von Leipelts engem Freund Karl Ludwig Schneider oder auch von dem Buchhändler Reinhold Meyer. Von Hans Leipelt selbst ist kaum etwas greifbar. Er war nicht nur als regimekritischer Student in den Fokus der Nationalsozialisten geraten. Wegen der jüdischen Wurzeln seiner Mutter wurde seine Familie genauso brutal verfolgt wie alle anderen jüdischen Familien.
O5 BOTTIN 17''
Alles, was diese Familie besaß in ihrem Haus wurde – ja, vom Staat übernommen, verwertet, versteigert, öffentlich versteigert und wie bei allen anderen, wurden persönliche Dokumente vernichtet. Und das ist das große Problem auf den Spuren von Hans Leipelt.
MUSIK
SPRECHER:
Ein neues Gesicht im Chemischen Labor habe sie im Winter 1941 neugierig gemacht, schrieb Marie-Luise Jahn später über ihre Studienzeit in München. Es war Hans Leipelt, der sie faszinierte mit seiner Art über Bücher zu sprechen – über Bücher, die seit 1933 verboten waren.
SPRECHERIN:
Zwischen den beiden entwickelte sich eine Liebesgeschichte.
SPRECHER:
Gemeinsame Spaziergänge im Englischen Garten folgten, so die Erzählung von Marie-Luise Jahn, zahlreiche Umzüge, weil sie gegen das Verbot von sogenannten "Herrenbesuchen" abends verstießen, gemeinsames Hören von verbotener Jazzmusik, laut aus dem Koffergrammophon auf dem Fensterbrett …
SPRECHERIN:
Nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht hatte Hans Leipelt zum Wintersemester 1940/41 zunächst in Hamburg mit dem Chemiestudium angefangen – unter schwierigen Bedingungen, so Angela Bottin.
O6 BOTTIN 36''
Man muss vielleicht noch ergänzen zum Verständnis, dass Hans Leipelt nicht einfach mit seinem Studium beginnen konnte. Er brauchte eine – wie alle Mischlinge ersten Grades – eine Ausnahme-Genehmigung durch das Reichs-Erziehungsministerium. Das war ein erniedrigender Prozess, dem er sich unterwerfen musste, und er erlebte dann in Hamburg kurze Zeit später doch sehr viel antisemitische diskriminierende Ereignisse. Und das war der Grund, warum er den Studienort wechselte, obwohl das bedeutete, weit weg von der sehr bedrohten Familie zu sein.
SPRECHERIN:
So war Hans Leipelt nach München gekommen. Am chemischen Institut an der Münchner Universität herrschte eine offene Atmosphäre. Professor Heinrich Wieland hatte 1927 den Nobelpreis bekommen, nutzte seine Prominenz und akzeptierte auch sogenannte "nichtarische" Studenten und Studentinnen. Auch Marie-Luise Jahn studierte in München. Die Juristin Angela Bottin:
O7 BOTTIN 36''
Sie hat dann in dem Staatslaboratorium, dem chemischen Institut unter der Leitung von Professor Heinrich Wieland, erst mal näher kennengelernt, dass es Menschen gab, die besonderen Schutz brauchten, eben die dort von Heinrich Wieland nicht ausgeschlossenen, sogenannten Mischlinge ersten Grades. Marie-Luise Jahn kam aus einer anderen Welt. Sie war Tochter einer Gutsbesitzerfamilie in Ostpreußen, hatte Privatunterricht gehabt, war sehr behütet, hatte dann in Berlin Abitur gemacht und war dann nach München gekommen und hatte begonnen, Chemie zu studieren.
SPRECHER:
Das Vordiplom im Sommer 1942 sei nicht gut ausgefallen, schrieb Marie-Luise Jahn in ihren Erinnerungen, da sie sich lieber mit Hans getroffen hat, anstatt zu lernen. Die beiden haben ihre Freundschaft ganz offen gezeigt, sind Arm in Arm durchs Chemische Labor gelaufen. Ein regimetreuer Kommilitone habe sie beim NS Studentenführer denunziert. Allerdings sei außer einer Standpauke nichts weiter passiert – was, wie sie später erfuhr, damit zu tun hatte, dass Professor Wieland zu ihren Gunsten eingegriffen hatte.
MUSIK
SPRECHERIN:
Den Sommer 1942 verbrachte Marie-Luise Jahn zuhause bei ihrer Familie in Ostpreußen – und Hans Leipelt bei seiner Familie in Hamburg. Die Situation hatte sich dramatisch verschlechtert. Maria, die Schwester von Hans, musste wegen ihres jüdischen Hintergrundes das Gymnasium verlassen. Die Großmutter wurde ins KZ Theresienstadt deportiert. Und im September 1942 starb der Vater überraschend. Für die Mutter fiel damit der Schutz weg, den sie durch ihren nicht-jüdischen Mann hatte. Hans kümmerte sich um die Beerdigung seines Vaters.
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Das bedeutete aber, dass er sehr, sehr viel mehr Zeit in Hamburg verbracht hat als als Student in München. Und dadurch ist es auch Marie Luise gar nicht sozusagen präsent gewesen, was alles auch in Hamburg passierte.
SPRECHERIN:
Neben Hans Leipelt pendelte ein weiteres Mitglied des Hamburger Netzwerkes zwischen München und Hamburg: Traute Lafrenz, ehemalige Schülerin der Lichtwark-Schule, befreundet mit Heinz Kucharski und Margaretha Rothe, studierte mittlerweile in München Medizin. Sie war eng mit Hans Scholl befreundet, mit dem sie kurzzeitig auch liiert war, und kannte auch andere Mitglieder des Münchner Widerstandsnetzwerkes, Sophie Scholl, Professor Kurt Huber und Alexander Schmorrell, den sie bereits drei Jahre vorher während ihres Reichsarbeitsdienstes in Ostpommern kennengelernt hatte. Unter dem Eindruck der brutalen Kriegsverbrechen im Osten hatten die Münchner im Sommer vier Flugblätter verfasst und verbreitet. Sie nannten sich Weiße Rose und riefen zum Widerstand gegen das NS Regime auf. Als Traute Lafrenz im November 1942 auf Heimatbesuch nach Hamburg kam, brachte sie eines dieser Flugblätter mit und gab es ihrem alten Freundeskreis. Heinz Kucharski, Margaretha Rothe, Reinhold Meyer, Albert Suhr hatten das Flugblatt in Händen, diskutierten und verteilten es. Ob auch Hans Leipelt das Flugblatt kannte, lässt sich nicht nachweisen, ist aber wegen seiner engen Beziehungen ins Hamburger Netzwerk anzunehmen. In den Erinnerungen von Marie-Luise Jahn findet sich nichts darüber. Dazu Angela Bottin.
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Sie hat als einzige eigentlich – Hans Leipelt konnte es nach seiner Ermordung ja natürlich nicht mehr: sie hat, sagen wir mal, eine Wir-Geschichte, Hans Leipelt und Marie-Luise Jahn, ab Mitte der 1980er Jahre entwickelt. Je mehr man über die komplexen Zusammenhänge, die es tatsächlich gegeben hat, herausfindet – dann erkennt man das diese Wir-Geschichte eben doch vieles außer Acht lässt, was zur Wirkungsgeschichte und zum Leben und Sterben von Hans Leipelt im Besonderen und der weiteren, mit ihm verbündeten aktiven Menschen in München und Hamburg tatsächlich geschah.
MUSIK
SPRECHERIN:
Über Flugblätter zum Widerstand aufzurufen war lebensgefährlich. Alle zusätzlichen Mitwissenden erhöhten das Risiko, entdeckt zu werden. Ihren Erinnerungen zufolge wurde Marie-Luise Jahn erst ab 1943 von Hans Leipelt in seine Oppositionsaktivitäten eingebunden. Hans Leipelt, der zwischen Hamburg und München pendelte, war laut Marie-Luise Jahn am 13. Januar 1943 in München, als es im Kongresssaal des Deutschen Museums zu spontanen Studentenprotesten kam. Gauleiter Paul Giesler hatte in seiner Rede im Rahmen der 470 Jahrfeier der Münchner Universität beleidigende Äußerungen über studierende Frauen gemacht. Unter Protest verließen viele der Anwesenden, darunter viele Soldaten in Uniform, den Saal und lieferten sich Handgreiflichkeiten mit den Ordnungskräften.
SPRECHER:
Das sei ein Hoffnungsschimmer gewesen, dass endlich etwas passieren würde – so Marie-Luise Jahn in ihren Erinnerungen. Hans sei bei der Veranstaltung gewesen und habe ihr freudestrahlend von dem Protest der Studenten gegen die unverschämte Rede des Gauleiters erzählt. Sie dachten, so Marie-Luise Jahn, dass ein Aufstand der Studenten folgen würde.
SPRECHERIN:
Aber nichts dergleichen geschah. Auch nicht als Ende Januar 1943 die Schlacht um Stalingrad mit einer verheerenden Niederlage der deutschen Wehrmacht endete und das sechste Flugblatt der Weißen Rose in München zum Widerstand gegen die NS-Diktatur aufrief.
Den Text hatte größtenteils Professor Huber verfasst. Die meisten der Flugblätter wurden per Post verschickt. Als Hans und Sophie Scholl den Rest an der Münchner Universität verteilten, wurden sie verhaftet.
SPRECHER:
Eines Morgens sei Hans Leipelt mit dem Flugblatt in der Hand zu ihrem Laborplatz im Chemischen Institut gekommen, schrieb Marie-Luise Jahn in ihren Erinnerungen. Gemeinsam haben sie es gelesen und waren beeindruckt, dass jemand gewagt hatte, das zu schreiben. Sie waren der gleichen Meinung, hätten aber nie gewagt, das offen zu sagen, geschweige denn zu schreiben. Hier hatte jemand den Mut, sich öffentlich gegen das Unrechts- und Willkürregime der Nationalsozialisten aufzulehnen.
MUSIK
Hinter vorgehaltener Hand, so Marie Luise Jahn machten Gerüchte über Verhaftungen im Chemischen Institut die Runde.
SPRECHERIN:
Am 22. Februar 1943 wurden Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst in München hingerichtet.
SPRECHER:
Ihre Hoffnungen hätten ein jähes Ende gefunden, so Marie Luise Jahn über die verzweifelte Stimmung, in der sie und Hans Leipelt waren. Sie hatten das Flugblatt, aber die es geschrieben hatten, waren von den Nazis dafür hingerichtet worden. Wer sollte nun den Menschen die Augen öffnen? Wer die Wahrheit über das verbrecherische Regime sagen? Und ihnen beiden war klar, dass sie weitermachen müssten. Sie tippten das Flugblatt mit vielen Durchschlägen ab. Um die Verbundenheit mit den Ermordeten zu zeigen, wählten sie als Überschrift: "… und ihr Geist lebt trotzdem weiter."
SPRECHERIN:
Das sechste Flugblatt und weitere regimekritische Schriften im Gepäck fuhr Marie-Luise Jahn in den Osterferien mit Hans Leipelt nach Hamburg, lernte dort seine Mutter, seine Schwester Maria und auch seine Freunde Karl Heinz Schneider und Heinz Kucharski kennen, bevor sie zu ihrer Familie nach Ostpreußen weiterreiste. Leipelts Hamburger Freundeskreis sorgte für eine Vervielfältigung und Weiterverbreitung des Münchner Flugblattes.
SPRECHER:
Nach den Osterferien, so Marie-Luise Jahn, sei sie mit dem beklemmenden Gefühl nach München zurückgefahren, ihr bisher behütetes Leben verloren zu haben.
MUSIK
SPRECHERIN:
Die Situation für die antinazistischen Netzwerke in München und Hamburg verschärfte sich. Bereits im März 1943 war Traute Lafrenz im Rahmen der Ermittlungen gegen die Weiße Rose in München verhaftet worden. Im Juli wurden Alexander Schmorell und Professor Kurt Huber hingerichtet. Um die mittellose Familie des letzteren zu unterstützen, beteiligten sich Hans Leipelt und Marie-Luise Jahn an Geldsammlungen, wurden schließlich denunziert und im Oktober 1943 verhaftet – und mit ihnen sieben weitere Personen aus ihrem Münchner Freundeskreis, die meisten davon Studierende am Chemischen Institut. Auch in Hamburg folgte Verhaftung auf Verhaftung: Albert Suhr, Maria Leipelt, die Schwester von Hans, Heinz Kucharski, Margaretha Rothe, Karl Ludwig Schneider, Reinhold Meyer und auch die Mutter von Hans, Katharina Leipelt. Ende 1943 waren die zentralen Akteure des Hamburger Netzwerkes in Haft.
MUSIK
SPRECHER:
Er beschuldige Hans Leipelt, so der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof in seiner Anklageschrift: der Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Wehrkraftzersetzung, Feindbegünstigung und Rundfunkverbrechen.
SPRECHERIN:
Am 13. Oktober 1944, etwa nach einem Jahr Untersuchungshaft in München-Stadelheim, fand der Prozess gegen Hans Leipelt und seinen Münchner Freundeskreis statt. Wegen der Luftangriffe auf München wurde er nach Donauwörth verlegt.
SPRECHER:
Laut Anklageschrift wurde Hans Leipelt vorgeworfen, dass er in Gesprächen staatsfeindliche, zum Teil auch kommunistische Positionen propagiert habe, dass er ausländische Sender gehört und ein Flugblatt der Weißen Rose weiterverbreitet habe, in dem zur Sabotage der Rüstung und zum Sturz der nationalsozialistischen Staatsführung aufgerufen wurde. In Gesprächen habe er die Geschwister Scholl als Märtyrer gefeiert und seine Bewunderung für sie zum Ausdruck gebracht. Außerdem habe er in seinem Hamburger Freundeskreis über die Möglichkeiten von Terror- und Sabotageakten beratschlagt, etwa eines Sprengstoffanschlages auf eine wichtige Eisenbahnbrücke. Und schließlich habe er für die Hinterbliebenen des zum Tode verurteilten Professor Kurt Huber Geld gesammelt und auch selbst gespendet.
MUSIK
SPRECHERIN:
Hans Leipelt wurde zum Tode, Marie-Luise Jahn zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 29. Januar 1945 wurde Hans Leipelt in München-Stadelheim hingerichtet. Aus dem Umfeld des Hamburger Netzwerkes kamen acht Menschen ums Leben – darunter Katharina Leipelt, die Mutter von Hans, Margaretha Rothe und Reinhold Meyer. Von Familie Leipelt überlebte als einzige Maria, die Schwester von Hans.
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